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Preisträger*innen 2023

PreisträgerInnen_2023
alle Fotos: Candy Welz

Die Preisträgerinnen und Preisträger Stefan Winkler, Julia Gehrke, Emily Calcraft, sowie Albert Dikovich, Stefan Schubert und Ben Gattermann (v.l.n.r.) zusammen mit dem Vorsitzenden des Weimarer Republik e.V. und Leiter der Forschungsstelle Weimarer Republik Prof. Dr. Michael Dreyer (4.v.l.) und dem stellvertretenden Leiter der Forschungsstelle Dr. Andreas Braune (1.v.r.)

Am 23. Februar wurden im Rahmen der Fachtagung „Ansätze, Methoden und Forschungsfelder einer interdisziplinären Demokratiegeschichte“ die gemeinsamen Forschungspreise an sechs junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verliehen. Wieder zeigt der Preis: Es gibt noch viel zu entdecken in der Politik, Geschichte und Kultur der Weimarer Republik.

Die Preise gingen im Jahr 2023 an:

Friedrich-Ebert-Preis für die beste Dissertation oder Habilitation

Dikovich_2023

Dr. Albert Dikovich

Den Umbruch denken. Die Mitteleuropäischen Revolutionen nach dem Ersten Weltkrieg und die Politik der Philosophie

Philosophische Dissertation an der Universität Wien, betreut von Univ.-Prof. DDr. Hans Schelkshorn

Aus der Laudatio der Jury:

In seiner Dissertation führt uns Albert Dikovich in die Welt des politischen Denkens der Weimarer Republik und Österreichs, und zwar aus der disziplinären Sicht der Philosophie. Die gewichtige, fast 700 Seiten starke Arbeit nähert sich ihrem Thema in zwei umfassenden Teilen, einmal durch „Die Überwindung der Gewalt“ und sodann durch den „Kampf um das Recht“. Damit wird ein weiter Bogen gespannt, der von Niekisch, Spengler und Spann über Kelsen, Cohen und Natorp bis zu Lukacs reicht und der neben diesen bekannten Namen auch allerlei heute weniger berühmte Namen umfasst. Der Verfasser sieht die Zeit seiner Untersuchung als „Lehrjahre, in denen eine menschheitsgeschichtlich beispiellose Katastrophe erst als unverzichtbares Gut zu schätzen lehrte, was man bereits seit den Monaten nach dem Ende des ersten weltumspannenden Kriegs in Händen gehalten hatte“ (1). Die Arbeit ist fokussiert „auf die problemorientierte Erörterung systematischer Fragestellungen“ (18) aus philosophischer Perspektive, verzichtet dabei aber ebenso wenig auf den politisch-historischen Kontext wie auf den Blick auf heutige Herausforderungen der Demokratie.

Damit wird ein weites Feld abgedeckt. Es geht nicht nur um eine politische Philosophie oder um eine Philosophie der Politik, sondern nicht minder auch um die „Politik der Philosophie, von der die Philosophie der (liberal-parlamentarischen) Demokratie nur einen Teil bildet, die eingebettet in unterschiedliche politische Strömungen stattfinden und auf unterschiedliche politisch staatliche Ordnungsmodelle anstrebt“ (16). Dikovich gelingt genau dies, nämlich die doppelte Betrachtung des philosophischen Nachdenkens über die Politik wie auch der politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Zielvorstellungen, in denen politische Theorie und politische Praxis aufeinander einwirkten und auch bewusst einwirken wollten.

Dementsprechend kommt eines der beiden Gutachten zu dem Schluss, die „Arbeit beeindruckt sowohl durch ihr historisches wie politisches (politikgeschichtliches, zeitgeschichtliches Wissen als auch durch die philosophische Urteilskraft des Verfassers, mit der er die philosophischen Positionen der Weimarer Zeit durchmustert. Verfasser ist damit weit mehr als ein Historiker oder selbst Philosophie-historiker, sondern ein mit reifer, eigenständiger Stimme sprechender (politischer) Philosoph, der sich zu jedem Moment auf dem Stand der von ihm behandelten Philosoph/innen wie der Literatur über sie befindet.“ Diesem Urteil schließen wir uns an und zeichnen die exzellente, innovative und breit gefasste Arbeit mit dem Friedrich-Ebert-Preis aus.

Schubert_2023

Dr. Stefan Schubert

Von der militärischen zur politischen Heroisierung: Paul von Hindenburg und Philippe Pétain im Vergleich

Historische Dissertation an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.,
betreut von Univ.-Professor Dr. Jörn Leonhard und Prof. Dr. Dietmar Neutatz

Aus der Laudatio der Jury:

Ein zentraler Bestandteil der neueren Weimar-Forschung besteht darin, danach zu fragen, ob bestimmte Merkmale in der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung Deutschlands typisch für die Entwicklungen im Europa der Zwischenkriegszeit sind. Ohne alte Debatten über einen vermeintlichen Sonderweg aufzuwärmen, geht es dabei vielmehr darum, den Sinn für übergreifende Problemstellungen zu schärfen, die in nahezu allen Ländern Europas die parlamentarischen Demokratien unter Druck setzten. Substantielle Erkenntnisse in dieser Hinsicht können daher nur in vergleichender Perspektive gewonnen werden. Da die Dissertation Stefan Schuberts dies auf exzellente Weise tut, freut sich die Jury sehr, seine Arbeit mit dem Friedrich-Ebert-Preis 2023 auszuzeichnen.

Entstanden ist die Dissertation im Rahmen der vielfältigen Arbeit des Freiburger Sonderforschungsbereichs 948 „Helden - Heroisierungen - Heroismen“ und widmet sich zwei ‚Kriegshelden‘ der sich im Weltkrieg erbittert gegenüberstehenden Länder Deutschland und Frankreich. Das Verbindende zwischen Paul von Hindenburg und Philippe Pétain besteht darin, dass beide nach langer und unauffälliger militärischer Karriere im Krieg zu militärischem Ruhm kamen: Hindenburg schon 1914 mit der Schlacht von Tannenberg, Pétain 1916 bei der Verteidigung Verduns. Verbindend ist darüber hinaus, dass es beide Helden in ihren jeweiligen Ländern gelang, diesen militärischen Ruhm in politisches Kapital umzumünzen und zu herausgehobenen politischen Gestalten aufzusteigen: Hindenburg bekanntlich als Reichspräsident von 1925 bis 1934, Pétain als Minister und Premierminister am Ende der Dritten Republik und schließlich als Staatschef des État français von Vichy. Auf luzide Art und Weise, im besten Sinne einer biographisch orientierten Kulturgeschichte des Politischen und auf breiter Quellenbasis rekonstruiert und vergleicht Stefan Schubert über diesen langen Zeitraum sowohl die Entstehung als auch diese Transformation zweier nationaler ‚Helden‘. Im Wechselspiel zwischen gesellschaftlichen und medialen Zuschreibungen und einer gezielten Ausnutzung der Spielräume, die diese eröffneten, brachte der Aufstieg beider in politische Funktionen eine ähnliche Transformation politischer Ordnungsvorstellungen zum Ausdruck. Das vermeintlich Unpolitische des militärisch Heldenhaften und die damit assoziierten Werte (Autorität, Ordnung, Disziplin, Opferbereitschaft…) füllten nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich die Lücken, die in einer Krise der parlamentarischen Demokratie entstanden waren. Eine neue Art der Führerpersönlichkeit versprach nationale Integration, wo mit Demokratie zunehmend Streit, Uneinigkeit und bloße Parteiinteressen verbunden wurden. Die Jury gratuliert zu einer bedeutenden und exzellenten Arbeit.

Hugo-Preuß-Preis für die beste Masterarbeit

Gehrke_2023

Julia Gehrke, M.A.

Die geistige Zusammenarbeit im Völkerbund und die Gründung der Deutschen Kommission für geistige Zusammenarbeit

Historische Masterarbeit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn,
betreut von PD Dr. Henning Türk und Prof. Dr. Joachim Scholtyseck

Aus der Laudatio der Jury:

Die Völkerrechtsordnung und das System der Internationalen Organisationen, das wir heute kennen, ist nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aus dem Nichts entstanden. Viele seiner Wurzeln reichen bis in das 19. und frühe 20. Jahrhundert zurück. Das gilt auch für das UN-System und seine Unterorganisationen. Auch wenn der Völkerbund gemeinhin als ‚gescheitert‘ gilt, weil er die Verheerungen des Zweiten Weltkrieges nicht verhindern konnte, so wurden in der Zwischenkriegszeit erhebliche Schritte hin zu einer Neuordnung des internationalen Miteinanders unternommen, die wesentliche Grundsteine für die Entwicklungen ab 1945 legten.

Jüngere Forschungen zur Außenpolitik der Weimarer Republik gehen vermehrt auf das Verhältnis Deutschlands zu dieser Reorganisation in der Zwischenkriegszeit ein und streichen dabei die spezifische Rolle Deutschlands heraus, das nach der Niederlage im Krieg und im Rahmen des Systems der Pariser Vorortverträge erst einen Weg aus der Isolation und dann seinen Platz finden musste. Einen wichtigen Beitrag zum Verständnis dieser Bemü-hungen leistet die ausgezeichnete Arbeit Julia Gehrkes. Mit der Internationalen Kommission für geistige Zusammenarbeit, die im Kontext des Völkerbundsystems 1922 erstmals zusammenkam, kommt dabei die Vorgängerorganisation der heutigen UNESCO genauer in den Blick. Das Thema der überaus gründlich recherchierten Arbeit liegt damit in einem Bereich, dem zuletzt größere Aufmerksamkeit zuteil wird. Denn ähnlich wie bei auswärtiger Kulturpolitik oder humanitärer Hilfe ist auch die ‚geistige Zusammenarbeit‘ ein Teil von soft power und damit eines der zentralen Vehikel, mit denen das Reich versuchte, auf der internationalen Bühne wieder Fuß zu fassen und die bitter herbeigesehnte Gleichberechtigung wieder zu erlangen.

Das Verdienst der Arbeit Frau Gehrkes liegt dabei darin, insbesondere die innenpolitischen und gesellschaftlichen Dynamiken bei dieser Neupositionierung offengelegt zu haben. Denn – so eine zentrale Erkenntnis der Arbeit – es waren gar nicht so sehr die zur ‚geistigen Zusammenarbeit‘ aufgerufenen Wissenschaften, sondern Politiker des Reichs, die zu einer Gründung der entsprechenden Deutschen Kommission für geistige Zusammenarbeit drängten, um so die soft power Deutschlands zu stärken. Denn in den Wissenschaften waren durch starke nationalistische Strömungen die Vorbehalte groß, sah man im Völkerbund und seinen Institutionen doch sehr lange noch das Instrument alliierter Unterdrückung. Nachdem die Deutsche Kommission 1928 gegründet worden war, blieben ihr nur knapp fünf Jahre für ihre Arbeit und damit zu wenig Zeit für ein nachhaltiges Wirken. Vor dem Hintergrund eines offenen Zukunftshorizonts war sie aber ein wichtiger Teil der Außenpolitik des Reichs. All das kann Frau Gehrke mit ihrer hervorragenden Arbeit auf eindrucksvolle Art und Weise nachweisen. Die Jury gratuliert herzlich zu dieser Leistung.

Winkler_2023

Philipp Winkler, M.A.

Die Weimarer Republik als Ort der Demokratiegeschichte. Demokratiegedenken und Wandel von Erinnerungskultur am Beispiel des 100. Gründungsjubiläums der Weimarer Republik in Geschichtsschreibung, Geschichtspolitik und Geschichtskultur

Geschichts– und Kulturwissenschaftliche Masterarbeit an der Freien Universität Berlin,
betreut von PD Dr. Daniel Morat und Prof. Dr. Paul Nolte

Aus der Laudatio der Jury:

Die Masterarbeit von Philipp Winkler befasst sich nicht mit einem direkt politikhistorischen Thema zur Weimarer Republik, sondern mit der Republik selber als Gegenstand von Erinnerung in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft – also mit der „public history“ der Weimarer Republik. Diese hatte es für viele Jahre schwer in der Erinnerungskultur der zweiten deutschen Demokratie, galt sie doch über Jahrzehnte hinweg als kaum mehr denn als schwache, verteidigungsunfähige und zudem durch die vermeintlichen „Mängel“ der Verfassung als Republik ohne Republikaner. Wie hätte solch ein Monument des Versagens als historischer Erinnerungsort getaugt?
Die Untersuchung von Winkler konzentriert sich auf das 100jährige Jubiläum der Republik 2019, und es gelingt ihm überzeugend zu zeigen, dass die Weimarer Republik auf dem besten Wege ist, als Erinnerungsort anerkannt zu werden – oder dort bereits angekommen ist.
Der Verfasser argumentiert, „dass sich das neuerliche Interesse an der Weimarer Republik nicht allein tagespolitischen Entwicklungen verdankt, sondern vielmehr auf einen grundlegenden Wandel von Erinnerungskultur verweist, in dem positive Bezüge auf deutschen Demokratietraditionen an Bedeutung gewinnen“. Auf dem Weg dorthin geht er der Frage nach, „wie die Weimarer Republik im Zuge ihres Gründungsjubiläums 2018/19 erinnert wurde und welche Funktion diese Erinnerung für das in die Krise geratene demokratische Selbstverständnis der Bundesrepublik hat“ (beides 3).

Seine Thesen überprüft er auf drei Ebenen, nämlich der Ebene der wissenschaftlichen Forschung, der öffentlichen Geschichtspolitik und der Geschichtskultur – und der dritte Punkt führt dazu, dass sich der Verfasser neben den Ausstellungen zum Jubiläumsjahr auch mit dem „Haus der Weimarer Republik“ auseinandersetzt. Um etwaiger Befangenheit zu entgehen, wurden weitere Fachkollegen hinzu-gezogen, die einhellig die Einschätzung der Jury bestätigten: die Arbeit von Philipp Winkler ist exzellent, und ihr darf die Anerkennung durch den Hugo-Preuß-Preis nicht versagt werden darf, nur weil auch eigene Aktivitäten untersucht werden. Das bemerkenswerteste Forschungsergebnis der Arbeit ist vielleicht der Blick hinter die Bühne, den der Verfasser vermitteln kann. Er betrachtet nicht nur die in Ausstellungen und im HdWR geronnenen Resultate, sondern auch den konzeptionellen und diskursiven Weg dorthin. Er zieht in seine Untersuchung auch interne Überlegungen und Dokumente mit ein, die in verschiedenen Institutionen auf dem Wege zu den letztlich präsentierten Ausstellungen die interne Debatte geprägt haben. Damit gelingt es ihm, einen Einblick in die Werkstatt der geschichtskulturellen Erinnerung zu vermitteln.
In ihrer souveränen Verknüpfung der drei Untersuchungsebenen und in ihren überzeugenden Ergebnissen stellt die Arbeit eine herausragende Forschungsleistung dar.

Matthias-Erzberger-Preis für die beste Bachelorarbeit

 Calcraft_2023

Emily Calcraft, B.A.

’The Natural and the Unnatural’: Antisemitic Portrayals of Jewish Gender and Sexuality in Weimar Germany

Historical Bachelor thesis at the University of Sheffield, supervised by Dr. Benjamin Ziemann

Aus der Laudatio der Jury:

Emily Calcraft’s bachelor thesis covers a rather disgusting topic: antisemitic cartoons from the Nazi rag “Der Stürmer”. In 25 images she covers a time period from 1924 to 1930 and a broad range of topics. These topics are organized in three chapters, dealing with “The Jewish Male”, “Jewish Male Sexuality” and “The Jewish Female”. As one can imagine, Der Stürmer conveys images on a declining path from greed and lust via modern depravity to outright criminal behavior.
But there is a more specific research interest. Calcraft notes “Der Stürmer’s goal to depict Jews as fundamentally un-German and abnormal but [it] narrows in on Jewish sexuality to do so. This study seeks to explore whether antisemitism had a significant gendered and sexualized dimension, and consequently, how this manifested” (4). This way of developing her research interest allows the author to look beyond unsavory characters like Julius Streicher and focus instead on topical ways in which Nazi propaganda used the narrative of depraved Jewish sexuality to stir up antisemitic feelings during the Weimar Republic.

The research develops its thesis through analyzing cartoons, which allows us to shift from mere textual rages to another dimension. As the author states: “The cartoons added a corporeality to antisemitic allegations, to make the abstract more tangible.” (7) Indeed, the cartoons depict the Jewish male as predator, yet at the same time as effeminate and non-masculine, much more succinctly and efficiently as a mere verbal description could have done. Not all of this was the invention of the Nazis. Comparisons to cartoons from way before the Weimar Republic demonstrate that “Der Stürmer was following a pre-established trope in feminizing the Jewish body” (9).

While the Jewish male was thus simultaneously depicted as weak and effeminate, yet also as a sexual predator, Jewish women were seen as failing mothers and as accomplices of their husbands. They “were depicted as unattractive, through physical characteristics as well as moral fibre” (35), including these women being perfect examples of the New Woman of the Weimar Republic, which the Nazis
detested regardless of their origin. Calcraft demonstrated in her study the gender aspect of antisemitism in a convincing and authoritative tour de force. To quote from the report of the Sheffield examiner: “This is outstanding work that displays exceptional insight, precision and sophistication in its analysis of the primary sources.” We agree with this assessment and thus award the Matthias Erzberger Prize to this excellent study.

Gattermann_2023

Ben Gattermann, B.A.

Paul Gmeiner: Macht, Opposition, Verfolgung Das Leben als Kommunist in Braunschweig 1918-1944

Historische Bachelorarbeit an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg,
betreut von Prof. Dr. Gunilla Budde und Prof. Dr. Malte Rolf

Aus der Laudatio der Jury:

Die Geschichte der Weimarer Republik ist anhand wenig anderer Gegenstände so gut darstellbar wie an Biographien ihrer Protagonistinnen und Protagonisten. Mit nur 14 Jahren Dauer ist sie zwar viel zu kurz, um ein ganzes Menschenleben auszufüllen, doch bildete sie für alle, die in ihr politisch, öffentlich oder künstlerisch tätig waren, eine besonders prägende Lebensphase. Auch die Vor- und Nachgeschichte der Weimarer Republik spiegelt sich in biographischen Kontinuitäten und Brüchen ihrer handelnden Personen. Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass vielen Schlüsselfiguren der Weimarer Zeit bis heute kaum biographisch erforscht sind.
Der 1885 in Crimmitschau geborene und seit 1911 in Braun-schweig ansässige Arbeiter Paul Gmeiner ist sicherlich keine Schlüsselfigur dieser Zeit, aber eine sehr repräsentative. Seit 1909 SPD-Mitglied, ging er im Zuge der Novemberrevolution den Weg in die KPD und blieb in Braunschweig durchgängig als Kommunist aktiv. Auch sein Schicksal ab 1933 ähnelt dem vieler anderer Kommunistinnen und Kommunisten. Auf eine sehr frühe Verhaftung folgt eine Odyssee an willkürlichen Haftgründen und Gerichtsurteilen, die 1944 in Gmeiners Tod im KZ Sachsenhausen, vermutlich im Zuge eines Fliegerangriffes, mündete. Für die Handlungsmöglichkeiten und das Schicksal eines Kommunisten in der Weimarer Republik ist der Fall Braunschweig dabei besonders anschaulich. Denn einerseits spielten die Kommunisten im Vergleich zu anderen regionalen Revolutionen hier 1918/19 eine wichtige Rolle, und andererseits kamen die Nationalsozialsten in Braunschweig sehr früh an die Macht, was eine besonders frühe Verfolgung von KPD-Mitgliedern bedeutete. 

Es ist daher eine große Leistung der prämierten Arbeit Ben Gattermanns, dieses bewegte und auf seine Weise tragische Leben in den Blick genommen zu haben. Geschickt verbindet Herr Gattermann die biographische Mikroebene mit der Makroebene der politischen Geschichte der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und Braunschweigs. Dabei überzeugt die Gliederung der Arbeit anhand der wesentlichen Phasen des politischen Lebens Gmeiners: Macht (1918/19), Opposition (1919-1933) und Haft (1933-1944). Immer wieder wird es gekonnt mit den Geschehnissen der Zeit verwoben, und es entsteht ein äußerst plastisches Bild des Ringens der KPD für die Revolution, gegen die Republik und gegen den ‚Faschismus‘. Besonders anschaulich wird dabei klar, dass nicht alles, was sich gegen den Nationalsozialismus richtete, im Sinne der Demokratie sein musste. Die Arbeit überzeugt auch durch ihr reichhaltiges Quellenstudium, wobei ein Fundus an Briefen Gmeiners aus der Untersuchungshaft einen besonders bewegenden Eindruck der Jahre der Verfolgung vermitteln. Die Jury gratuliert zu einer exzellenten Bachelorarbeit.