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Preisträger*innen 2018

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Die Preisträgerinnen und Preisträger Dr. phil. Janosch Pastewka, Dr. phil. Michael Busch, Tobias Wissinger, M.A. und Helene Eggersdorfer, B.A. (v.l.n.r.), abwesend: Rhena Stürmer, M.A.

mit den Laudatoren Prof. Dr. Franz Josef Düwell, Prof. Dr. Eberhard Eichenhofer, Prof. Dr. Anne Nagel, Prof. Dr. Michael Dreyer und Dr. Heiko Holste (v.l.n.r.)

2018 haben die Forschungsstelle Weimarer Republik und der Verein Weimarer Republik zum dritten Mal Preise für Forschungsarbeiten zur Weimarer Republik ausgeschrieben. Sie wurden am 6. Dezember 2018 im Rahmen eines Forums der Preisträger auf der internationalen Konferenz "Die Weimarer Reichsverfassung - Innovation und Aufbruch" in Berlin verliehen. Die Resonanz auf die Auslobung der Preise war in allen Kategorien sehr hoch. Die Jury hat sich daher im Fall des Hugo-Preuß-Preises und des Friedrich-Ebert-Preises dafür entschieden, jeweils zwei herausragende Arbeiten zu prämieren.

Die Preise gingen im Jahr 2018 an:

Friedrich-Ebert-Preis für die beste Dissertation oder Habilitation

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Dr. phil. Michael Busch:

Johann Plenges ‚Ideen von 1914‘ in den Einheitsdiskursen der Moderne. Zur geistigen Biografie des ‚Gesellschaftsingenieurs‘

Dissertation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, betreut von Prof. Dr. Rainer Gries, begutachtet von Prof. Dr. Klaus Ries, Prof. Dr. Axel Schildt

Aus der Laudatio der Jury:

Johann Plenge ist in der Ideengeschichte als vermeintlicher Urheber der „Ideen von 1914“, als Begründer der modernen Propagandatheorie in Deutschland und als Vordenker eines autoritären, an den Gedanken von Einheit und Organisation orientierten Sozialismus bekannt. Er war zugleich einer der führenden soziologisch arbeitenden Volkswirtschaftslehrer des Kaiserreichs und der Weimarer Republik und trieb ihre Weiterentwicklung in der ‚klassische Moderne‘ sowie die Verzahnung mit den relevanten Nachbardisziplinen maßgeblich voran. Eine umfassende Intellektuellenbiographie dieses sperrigen und faszinierenden Wissenschaftlers, dieses egozentrischen Wissenschaftsorganisators und dieses eigenwilligen Ideeninkubators fehlte aber bislang, und Michael Busch legt sie vor.

Die beeindruckende Breite und Tiefe dieser hervorragenden Intellektuellenbiographie, ihre vielfältigen Fragestellungen, Zugänge und Erkenntnisse im Detail zu erläutern, würde den Rahmen einer Laudatio bei weitem sprengen. Neben dem Beitrag zur Sozial- und Ideengeschichte des Wilhelminischen Bürgertums, zur Geschichte der deutschen Wissenschaftskultur und -organisation am Durchbruch der klassischen Moderne, dem Beitrag zu den Universitätsgeschichten von Leipzig und Münster, wo Plenge wirkte, oder auch zur Wirkungsgeschichte seiner Ideen im Nationalsozialismus und der frühen Bundesrepublik, die in beiden Fällen eine Geschichte gescheiterter und abgewiesener Anbiederung ist, würdigt die Jury die Arbeit Michael Buschs natürlich vor allem als einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der politischen Ideengeschichte der Weimarer Republik.

Die in 9 Jahren und mit einigen Unterbrechungen gereifte Dissertation von Michael Busch ist eine Intellektuellenbiographie im allerbesten und herausragenden Sinne. Selten liegt eine so konzise, gründliche, bis zuletzt durchdachte, facettenreiche, anspruchsvolle und doch gut und spannend lesbare Arbeit vor.

 

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Dr. phil. Janosch Pastewka

Koalitionen statt Klassenkampf. Der sächsische Landtag in der Weimarer Republik (1918-1933)

Dissertation an der Technischen Universität Dresden, betreut von von Prof. Dr. Josef Matzerath und Prof. Dr. Mike Schmeitzner

Aus der Laudatio der Jury:

Im Zentrum des politischen Systems einer parlamentarischen Demokratie steht, wenig überraschend, das Parlament. Aber das Parlament Sachsens, das der lebendige Mittelpunkt der Arbeit ist, ist bislang nur sehr unzureichend und unter vorgezeichneten Narrativen untersucht wurden. Bei Pastewka steht der Landtag als Ort der politischen Verständigung im Fokus. Zwischen dem proletarisch-sozialistischen und dem bürgerlich protestantischen Milieu mußten Brücken gebaut werden, und der Landtag war der Ort dafür.

Pastewka untersucht den Alltag der Politik, das Krisenmanagement auf der Bühne des Landtags. Dabei ist Bühne durchaus auch wörtlich zu verstehen, denn die Arbeit bezieht auch das Gebäude selbst, seine Geschichte und seine Symbole in die Überlegungen mit ein. Im Mittelpunkt stehen aber die Akteure der Politik und die Strukturen, in denen sie agiert haben und die sie umgekehrt auch geprägt und verändert haben.

Die exzellente Arbeit ist sowohl eine Studie von politischen Strukturen wie von politischen Akteuren. Sie zieht sozio-kulturelle Milieus ebenso in Betracht wie das Manövrieren der Parteien. Sie bezieht damit Aspekte von „politiy, policy, and politics“ mit ein, um die amerikanische Dreiheit der Politik zu bemühen. Die Funktionsweise einer zentralen Institution für jede Demokratie wird unspektakulär analysiert und geschildert aber gerade das ist das spektakuläre der Arbeit.

Hugo-Preuß-Preis für die beste Masterarbeit

 

Urkunde Stürmer

Rhena Stürmer, M.A.

Vorstellungen von Marxismus, Gewalt und Glück in der KPD der späten Weimarer Republik. Die Rekonstruktion der Ideologie der Parteiführung und Basis anhand zweier Reiseberichte über die Sowjetunion

Masterarbeit an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt a.d. Oder, betreut von Prof. Dr. Werner Benecke und Prof. Dr. Claudia Weber

Aus der Laudatio der Jury:

Für die KPD der Weimarer Republik waren Moskau und die Sowjetunion die zentrale Bezugsgröße. Organisatorisch wie ideologisch war sie als Mitglied der Komintern auf das große Experiment der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft in Russland nach dem Modell zunächst Lenins und dann Stalins fixiert. Von außen betrachtet wirkte und wirkt die KPD daher wie eine in sich geschlossene Außenstelle Moskaus. Dass dem nicht ganz so ist und dass es durchaus eine differenzierte Vorstellungswelt innerhalb der KPD der späten Weimarer Republik gab, ist eine Erkenntnis, zu der die Arbeit von Frau Stürmer einen wichtigen Beitrag liefert.

Anhand einer detaillierten Untersuchung zweier Reiseberichte in die Sowjetunion kann Frau Stürmer zeigen, dass sich der Kommunismus des kleinen Manns und einfachen KP-Mitgliedes, seine Vorstellungswelt und Erwartungshaltung gegenüber dem großen Vorbild, aber auch die Rezeption des Gesehenen und Erlebten erheblich von den Eindrücken und Interpretationen der Parteikader unterscheidet.

Die Arbeit verbindet auf eine erfrischende und lesenswerte Art und Weise eine unorthodoxe Annäherung an einen diffizilen Gegenstand mit wissenschaftlicher Prägnanz und konziser Argumentation. Wie heißt es so schön im Erstgutachten des Kollegen Benecke? „Was für ein lebendiger, kreativer Text, der auf einem ungewöhnlichen, durchdachten und mühevollen Zugang beruht.“ Dem kann sich die Jury nur anschließen.

 

 

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Tobias Julius Wissinger, M.A.:

Also sprach Thomas Mann. Von der politisierten Kulturkritik zur Repräsentanz. Eine konservative Entwicklung in den Jahren 1914-1923

Masterarbeit an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt a.d. Oder, betreut von Prof. Dr. Werner Benecke und Prof. Dr. Reinhard Blänkner

Aus der Laudatio der Jury:

Die Arbeit beginnt mit einer provozierenden Feststellung, die zugleich die Aufmerksamkeit des Lesers gefangen nimmt: „Warum sollte man sich heute noch mit Thomas Mann beschäftigen? Warum noch eine weitere Arbeit über ihn verfassen? Über den deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, den jeder kennt, von dem jeder ein Bild hat, über den jeder eine Meinung hat, über den schon so viel gesagt worden ist.“ 76 Seiten später ist die Frage beantwortet, und es gibt eine weitere Studie über Thomas Mann, die aber einen Zeitraum seines Schaffens behandelt, der bislang nur relativ wenig untersucht wurde. [...] Zwischen Republik und Monarchie, oder eigentlich zwischen der aristokratischen Republik von Lübeck, seiner Heimatstadt, der Monarchie des Kaiserreiches und der demokratischen Republik von Weimar. Diese Reise wird in der Arbeit von Herrn Wissinger nachvollzogen.

Wissinger beschreibt Thomas Mann als einen „nach Ordnung lechzenden Intellektuellen“. Das führt ihn am Anfang auf nachgerade natürliche Art zum Konservativismus. Aber es erklärt auch, warum Thomas Mann auf dieser Seite nicht bleiben kann. [...] Einfühlsam zeigt die Arbeit, wie der „Ritter und Träumer“ nach der Zerstörung der Träume nicht verbittert, sondern seinen Konservativismus nach vorne entwickelt und mit der Demokratisierung versöhnt. Dieser Übergang wird minutiös geschildert.

Eines der vielen Bonmots, das Karl Kraus, dem Zeitgenossen Thomas Manns, zugeschrieben wird, lautet: Es reicht nicht, keine Gedanken zu haben, man muß auch unfähig sein, sie auszudrücken. Wer über Thomas Mann schreibt, muß nicht nur Gedanken haben, sondern er muß auch fähig sein, sie auszudrücken. Das kann die Arbeit in hohem Maße; die Eleganz der Sprache macht deutlich, daß der Untersuchungsgegenstand auch hier seine Spuren hinterlassen hat.

Matthias-Erzberger-Preis für die beste Bachelorarbeit

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Helene Eggersdorfer, B.A.:

Demokratiekritik in der Weimarer Republik

Bachelorarbeit an der Universität Augsburg, betreut von Dr. Frauke Höntzsch und Dr. Martin Oppelt

Aus der Laudatio der Jury:

Am Anfang der Arbeit steht die Diagnose, dass in unserer Gegenwart die liberale und parlamentarische Demokratie europaweit zunehmend unter Druck gerät. An die Stelle einer Kritik innerhalb der Spielregeln der parlamentarischen Demokratie trete mehr und mehr eine Kritik an der Demokratie als solcher, was ungute Erinnerungen an die Zwischenkriegszeit wecke. Grund genug also, um sich mit der Demokratiekritik in der Weimarer Republik genauer auseinander zu setzen.

Helene Eggersdorfer schließt mit ihrer erhellenden Arbeit an neuere Forschungsdiskussionen über den umkämpften Begriff der Demokratie in der Zwischenkriegszeit an. [...] Um [den umkämpften Begriff der Demokratie] für die Arbeit handhabbar zu machen und die Kritik an der parlamentarischen Demokratie in den Blick zu bekommen, schließt sich Frau Eggersdorfer methodisch und konzeptionell einem Zeitgenossen der Weimarer Republik an: Hans Kelsen. Orientiert an den Schriften „Vom Wesen und Wert der Demokratie“ und „Verteidigung der Demokratie“ erarbeitet sie ein hermeneutisches Instrumentarium, mit dem sie die antidemokratische Publizistik der Jahre 1929 bis 1932 untersucht.

Im Kern verwarfen alle Kritiker die am Kompromiss und dem Ausgleich von Interessen orientierte Art und Weise der demokratischen Willensbildung zugunsten ihres je eigenen ‚Demokratie‘-Modells, das an die Stelle der als veraltet und überkommen betrachteten liberalen und parlamentarischen Demokratie treten sollte. Diese angeblich ‚wahren‘ Formen der Demokratie entpuppten sich dann jedoch schnell als Diktaturen.

Die Arbeit von Helene Eggersdorfer zeugt von einer hervorragenden Kenntnis der politischen Kultur und Diskurse der Weimarer Republik, schließt an eine etablierte Forschungsdiskussion an und fügt ihr neue Erkenntnisse auf Basis eines eigenständig generierten Quellenkorpus hinzu. Die Fragestellung und Erkenntnisse sind dabei von hoher Relevanz. Denn „es bleibt die Frage, wie wir heute mit existentieller Kritik an der Demokratie umgehen sollen. Wichtig ist, dass es auch aktuell eine Sensibilität dafür gibt, dass Demokratie kein selbstverständliches Gut ist und nicht als solches behandelt werden darf,“ wie es im Fazit der Arbeit heißt.